Die Furcht des Herrn ist
der Weisheit Anfang
Psalm 111,10 + Sprüche 9,10
Dummheit - der gefährlichere Feind des Guten
Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung
In der letzten Newsletter-Ausgabe sprach ich die Hoffnung aus, dass die diesjährigen Olympischen Spiele zu einem Sommermärchen würden. Auch die Paralympics schafften dieses Wunder. Aber weit übertroffen wurde dieser Wunsch, als Andrew Parsons, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees, voller Leidenschaft zu einer Revolution der Inklusion aufrief, denn nur so könne und müsse viel mehr für die Inklusion auf allen Ebenen getan werden. Eine sanfte Revolution, ergänzte der Chef des Organisationskomitees Tony Estanguet, aber eine, die jeden von uns tiefgreifend und für immer verändern wird, die auch von universeller Reichweite sein wird. Am 9. September, dem 1. Tag nach den Spielen, würden wir anders aufwachen. Etwas Neues würde erwartet.
Ist dies nicht eine Art Hoffnungsschimmer, ein Zeichen dafür, dass ein Neuanfang immer möglich ist? Neue Chancen sind uns gegeben – nicht das Verzagen, sondern Hoffen soll unser Leitmotiv sein Wir dürfen hoffen, dass mit jedem neuen Tag uns die Möglichkeit einer Umbesinnung, eines Neuanfangs gegeben ist.
So fest ich von dieser Möglichkeit überzeugt bin, so beschleicht mich in Anbetracht der pessimistischen Stimmung und der politischen Zustände in unseren Gast- und Heimatländern doch der Zweifel – der Zweifel an der menschlichen Vernunft. Mir scheint, als litte unsere Gesellschaft immer mehr unter der Dummheit, einer unheilbaren Krankheit. Heißt es doch bei Schiller in der Jungfrau von Orleans „Mit der Dummheit kämpfen Götter selbst vergebens“. Die Dummheit existiert in den verschiedensten Formen. Für Kant ist sie „ein Gebrechen des Kopfes“, eine Folge „des biegsamen Herzens“. Sie gilt ferner als Unfähigkeit, Folgen des eigenen Handelns zu erkennen. Für André Glucksmann ist sie unfähig, „einen möglichen Widerspruch anzuerkennen“.
Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinen Aufzeichnungen aus dem Gefängnis: „Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit. Gegen das Böse lässt sich protestieren, es lässt sich bloßstellen,“ ….
Man kann das Böse erkennen und sich ihm entgegenstellen. Ganz anders verhält es sich mit der Dummheit, die schwer zu fassen ist. Die von ihr Besessenen glauben die irrigsten Darstellungen, saugen Fake News wie ein Schwamm auf, sie lehnen es ab, die Dinge zu hinterfragen, ja, noch schlimmer, sie verteidigen sie stur, bleiben jeglichem Argument gegenüber verschlossen, Selbstreflektion ist für sie ein Fremdwort.
„Gegen die Dummheit sind wir wehrlos. Weder mit Protesten noch durch Gewalt lässt sich hier etwas ausrichten; Gründe verfangen nicht; Tatsachen, die dem eigenen Vorurteil widersprechen, brauchen einfach nicht geglaubt zu werden – in solchen Fällen wird der Dumme sogar kritisch – und wenn sie unausweichlich sind, können sie einfach als nichtssagende Einzelfälle beiseitegeschoben werden. Dabei ist der Dumme im Unterschied zum Bösen restlos mit sich selbst zufrieden; ja, er wird sogar gefährlich, indem er leicht gereizt zum Angriff übergeht. Daher ist dem Dummen gegenüber mehr Vorsicht geboten als gegenüber dem Bösen. Niemals werden wir mehr versuchen, den Dummen durch Gründe zu überzeugen; es ist sinnlos und gefährlich (Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung. DBW 8, S.26).
Es macht mich wütend, immer wieder feststellen zu müssen, dass wir aus den Zeiten nach dem 1. bis zum Ende des 2. Weltkriegs nicht gelernt haben, dass es gerade die Dummheit der Gruppe war, die Handlanger der politischen Macht wurde. „Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen.“ (D. Bonhoeffer) Naivität, Leichtgläubigkeit, Denkfaulheit, Simplifizierung komplexer Zusammenhänge und Populismus machen den Dummen so gefährlich. Hüten wir uns vor den heimlichen Verführern. In unserer vom Clickbaiting* beherrschten Medienwelt ist die Gefahr des Überrolltwerdens groß, keine Zeit bleibt zum kritischen Nachdenken, zum Zweifeln, ist es doch einfacher, das Suggerierte anzunehmen und eventuell zu merken, dass man für dumm verkauft wurde. Schützen vor dieser Krankheit können wir uns durch ständiges Hinterfragen der Ereignisse, Nachrichten und Social Media, aber auch unserer eigenen Person.
Bonhoeffer zeigt uns mit dem Vers „Die Furcht des Herrn ist der Weisheit Anfang“ noch einen weiteren Weg. Liegt für Sokrates Weisheit in der Erkenntnis „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, womit er meinte: den Kopf freihaben für neue Gedanken, die Möglichkeit, Dinge anders zu sehen, so bietet das AT eine zusätzliche Interpretation. Ist dort die Rede von Weisheit, so ist dies im Sinne von sich im Leben zurechtzufinden, konsequent seinen Weg zu verfolgen, statt Angst zu haben, tiefes Vertrauen in Gottes Hilfe zu haben, trotz aller Widrigkeiten und Absurditäten.
Weisheit steht für Lebenshilfe, wobei unser reflektiertes Wissen ein Teil hiervon ist. Das AT geht über die Selbstreflektion hinaus. Es lässt es zur Interaktion kommen. Gott spricht zu uns und mit uns, und er hält Wort. Was er verspricht, dazu steht er, das Versprechen beruht auf einem Vertrauensverhältnis. Die Form dieses Sprechens ist variabel; sie reicht vom Zorn über Ärger, Erstaunen bis zu Verständnis, Mitleid und Trost. Er bleibt uns aber immer treu.
Beim Begriff Furcht handelt es sich nicht um die alltäglichen Ängste und Schrecken, sondern um die Ehr-Furcht; Weisheit als Hochachtung Gottes; die Ehrfurcht, also das Bewusstsein, dass ich nicht allein aus eigenen Kräften weise sein kann, sondern dass Gott über mir steht, mich befreit. Hier entsteht eine ganz persönliche, vielleicht auch bisweilen schwankende Beziehung zu Gott, die nicht von allein kommt, sondern auf die man sich einlassen muss. Dies bezeichnet der Psalmist als der Weisheit Anfang.
Da, wo sich der Mensch von Gott ansprechen lässt, sich von allen seinen Verstrickungen befreien möchte, da liegt der Weisheit Anfang. Diese neue Beziehung ist keine Unterwerfung, sondern eine Befreiung, denn Gott hat keine Freude an der Unterwerfung seiner Geschöpfe; als freie Menschen, auch frei im Glauben an Gott, sind wir geboren. Es geht nicht darum, dass wir uns oder unseren Nächsten selbstzerstörerisch unterwerfen, weder in der Wirtschaft, in der Politik oder in der sogenannten Liebe.
Gott will, dass der Mensch sich die Erde untertan mache, was so viel heißt, dass er alles daransetzen soll, ein erfülltes Leben zu haben. Und hierzu gibt er uns Lebenshilfen in Form von Hinweisen, Empfehlungen und Geboten. Der Sinn der Weisheit besteht darin, sie zu erfassen und sie als Leitlinie zu verstehen, nicht lebenseinschränkend, sondern lebensfördernd. Da, wo sich der Mensch von Gott ansprechen lässt, sich von allen seinen Verstrickungen befreien möchte, da liegt der Weisheit Anfang, da ist der Weg zur Überwindung der Dummheit.
Und so können wir in aller Zuversicht den Weg eines Neuanfangs wagen. Jeder von uns ist auf irgendeine Weise mehr oder weniger von der diesjährigen Rentrée betroffen. Was versprechen wir uns von ihr, was sind unsere Erwartungen, unsere Gefühle? Kreist über all dem eine gewisse Unsicherheit, Angst oder doch eher Zuversicht oder sogar ein gewisser Optimismus? Und wie wird für Sie der Wettlauf zwischen Dummheit und Weisheit ausgehen?
Kommen Sie nach dieser Ferienzeit behütet in den neuen Alltag.
Ihr Christian Ritter
*Clickbaits (deutsch: Klickköder) sollen die Nutzer durch neugierig machende und reißerische Überschriften ködern (engl: to bait) und für Interaktion in Form von Klicks sorgen. Die Inhalte, die sich hinter den Überschriften befinden, sind jedoch oft banal, stellen mitunter keinen direkten Mehrwert für Nutzer dar. (Quelle: google)