Die neue europäische Finanzaufsichtsarchitektur
Von der breiten Öffentlichkeit fast unbemerkt trat mit erstem Jänner 2011 die neue europäische Finanzmarktaufsicht (European System of Financial Supervisors (ESFS)), die erst im September vergangenen Jahres beschlossen worden war, in Kraft. Sie ist (neben Basel III und Solvency II) Teil der Entwicklung einer neuen europäischen Wirtschaftsordnung,
Das neue System beruht auf einer makro- und einer mikroprudentiellen Aufsicht. Makroprudentiell bezeichnet die Aufsicht, die sich auf das Finanzsystem als Ganzes – makro - bezieht; mikroprudentiell bezeichnet die Aufsicht, die sich auf bestimmte Unternehmen und Institute – mikro- bezieht.
Die Makroaufsicht umfasst das European Systemic Risk Board (ESRB) unter dem Vorsitz des Präsidenten der EZB. Es soll sich mit makroökonomischen (gesamtwirtschaftlichen) Fragen beschäftigen und eventuelle Übertreibungen (Blasen) im Vorfeld erkennen und bekämpfen. Damit sollen die Stabilität der Finanzmärkte gesichert und systemische Krisen verhindert werden.
Unter der Mikroaufsicht finden sich bereits bisher bestehende Ausschüsse, die in drei EU-Aufsichtsbehörden (European Supervision Authorities, ESA) mit eigener Rechtspersönlichkeit umgewandelt und mit entsprechenden Kompetenzen ausgestattet wurden:
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Die Versicherungs- und Pensionskassenaufsicht EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Supervisors) mit Sitz in Frankfurt,
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die Wertpapieraufsicht ESMA (European Securities and Markets Authority), die in Paris beheimatet ist, und
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die Bankenaufsicht EBA (European Banking Authority) in London.
Der Ecofin-Rat (Rat aller Finanzminister) stimmte zu, dass Kompetenzen von den nationalen Aufsichtsbehörden auf die europäische Ebene übertragen werden. In vier Fällen erhält die europäische Aufsicht die Oberhoheit und hat ein Durchgriffsrecht gegenüber nationalen Behörden:
a) in Krisenfällen wie Systemkrisen oder der drohenden Zahlungsunfähigkeit großer Unternehmen der Finanzwirtschaft.
b) wenn sich nationale Behörden nicht einigen können.
c) wenn eine nationale Aufsichtsbehörde gegen europäisches Recht verstößt.
d) zur Abfrage von unternehmensspezifischen Informationen, unangekündigte Untersuchungen in den Unternehmen selbst eingeschlossen.
Die neuen Aufsichtsbehörden sollen gesamt-europäische Standards entwickeln. Diese werden dann von den nationalen Behörden, die für die Aufsicht im eigenen Land zuständig bleiben (in Österreich: Finanzmarktaufsicht FMA), umgesetzt. Nur die Beaufsichtigung der Rating-Agenturen wird auf EU-Ebene bei der ESMA angesiedelt.
Kritiker bemängeln die fehlende demokratische Legitimierung der neuen Behörde, die Schaffung eines neuen Bürokratie-Monsters, das vielleicht die letzte Krise verhindern hätte können, aber für eine künftige zu schwerfällig ist, und die voraussehbaren Kompetenzrangeleien zwischen nationaler und europäischer Ebene.